25-01-2009

Fotos von Otto Oetz vom Wahlkampf um die neue Verfassung Boliviens

Am 25. Januar hat Bolivien über die Neue Politische Verfassung des Staates (Nueva Constitución Política del Estad) abgestimmt. In Potosí hatte es ein paar wenige Leute gegeben, die Flugblätter verteilten, auschließlich Anhänger der Regierung. In Sucre sah ich zum ersten Mal Infostände, wie wir sie kennen, friedlich die Vertreter des 'ja' und des 'nein' nebeneinander; die Anhänger des 'ja' waren etwas lauter und sorgten für den musikalischen Hintergrund. Sucre ist Hauptstadt des Departement Chuquisaca, es liegt im Grenzbereich zwischen dem chavinistischen Osten und dem oppsitionellen Westen. Das Wahlergebnis wird dort besonders knapp aUsfallen (so was wie 51% für, 49% gegen die Verfassung.
  


In La Paz kreuzte dann eine Demonstration für das 'ja' meinen Weg. Die Teilnehmer(innen) ausschließlich 'Indígenas' mit den Fahnen des Landes und den bunten der Indígenas. Es gab auch einen Infostand, von dem ich den Verfassungstext mitnehmen konnte.
  




Ganz anders sah der Wahlkampf in Santa Cruz aus. Als ich ankam, war die erste Begegnung die mit diese Trommelkorps auf der Plaza Central. Plakate, die für das 'no' warben, bestimmten das Stadtbild, kein Gebäude, jedenfalls kein öffentliches, ohne ein entsprechendes Plakat oder Transparent. Nur auf dem Busbahnhof (der unter der Kontrolle zentraler Instanzen zu stehen scheint) ein paar verschämte, nicht beachtete Zettel für das 'si'.
  

Ich hatte in La Paz den vorgeschlagenen Verfassungstext überflogen. Er schien mir (ich erhebe keinerlei Anspruch auf vollständige, vertiefte Kenntnis, auf ein der Sache angemessenes Urteil; mein Eindruck bleibt ganz subjektiv und wenig begründet...). Der Text hat vieles, was von einer modernen, aufgeklärten Verfassung erwartet werden kann, Grundrechte, soziale Rechte... Auf der anderen Seite scheint er mir überladen mit Details, beim Grundrecht auf Essen wird aufgezählt, was dazu gehört. Worthuberei, palaberķa. Aber das kann kein das Eigentliche treffener Einwand sein. Schwieriger ist es mit dem Indigenismus. Der Staat erkennt nach dieser Verfasser die vielfälitgen indigenen Gemeinschaften als 'Nationen' an, die alle einen Anspruch auf Autonomie haben. Ihre Religionen und Traditionen genießen den Schutz der Verfassung. Die Pacha Mama darf genau so verehrt werden wie die Jungfrau Maria. Schwierig wurde es für mich in diesem Puntk: die indigenen Nationen sollen auch nach ihren traditionellen regeln Recht sprechen. Das Verhältnis zur gesamtstaatlichen Justiz habe ich nicht geklärt gefunden. Der Anspruch der Gleichheit vor dem Gesetz und vor der Justiz wird ja auch proklamiert. Soweit Fragen, die ich mir gestellt habe. Armer Tourist, der immer an der Oberfläche bleibt und wenig versteht.

Und dann stand ich vor der entfesselten Propaganda im flachen und heißen Osten des Landes. Das Argument, dass mit der indigenen Justiz auch archaische Formen des Urteilens und Strafen möglich werden, ist mir auch einmal begegnet. Vorherrschend sah es so aus:
  

  



Ein Versuch mit jungen Leuten, die Flugblätter verteilten, zu diskutieren, scheiterte. Entweder wollten sie nicht mit Fremden diskutieren oder konnten es nicht (ich halte eine Kombination von beidem für wahrscheinlich). Sie drückten mir jedenfalls Material gegen jede Art von Schwangerschaftsunterbrechung in die Hand; meinten, wenn ich das gelesen hätte, würde ich verstehen... Antichrist ist, wer für gleich welche Form des Aborts eintritt. Die Verfassung geht über diesen katholischen Fundamentalismus hinweg. Ein Taxifahrer, den ich auch fragte: "Die Bolivianos sind noch(!) nicht so weit, darüber offen zu reden."

Die Plakattexte:

"Wähle Gott, stimme 'nein'."

"Für wen wirst du stimmen? [den Teufel Morales oder den sanften Jesus]? Die neue Verfassung ist ein Angriff auf das Leben, auf die christlichen Grundsätze und stellt Gott in Frage. Mach dich nicht zum Komplizen der Sünde..."

"Bolivien ist eine Schöpfung Gottes. Nein zur Zerstörung Boliviens, zur Zerstörung der Familie, zu Abtreibung und Sklaverei"

"Jesus Christus ist unser einziges Fundament und unsere Stärke. Wir akzeptieren nicht die Pachamama als neubegründung für Bolivien... Meine Stimme “dem 'nein'."

"Die neue Verfassung kreuzigt deinen Glauben. Verfassungsprojekt ist der Christliche glaube eine und du wirst verfolgt..."


Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute in den Bergen rationaler sind als die in der Ebene. Die meisten in der Ebene scheinen mir auch genau so arm wie die in Anden. In den Anden ist das Leben allerdings härter als in der tropischen Ebene. Wie kann dieses Land zusammenkommen? Ich habe in Santa Cruz kein einziges Plakat gesehen, das wirklich zur politischen Verfassung argumentiert hätte. Die Angst vor der Strafe Gottes lässt die Armen für die wohlhabende Oligarchie stimmen. Oder sehe ich es falsch?

Ein Ergebnis ist allerdings auch eindeutig und da ging es wirklich um Konkretes: 80% der Stimmen gab es landesweit in einer gleichzeitigen Abstimmung über eine deutliche Begrenzung des Grundbesitzes (50.000 ha statt 100.000, wie es die Oppostion gerne gesehen hätte. Der Großgrundbesitz ist sauer. Verständlich!

Bolivien bleibt mir aber ein Rätsel.

  

  

  

Weil am Abstimmungstag alle anderen Aktivitäten verboten waren, fuhren am 25. Januar auch keine Busse. Ich erlebte den Tag in San Ignacio, einer der Jesuitenmissionen. Er verlief in aller Ruhe und Würde (wie anscheinend überall im Land). Alle "Wahltische" für den ganzen Ort standen in einer Schule. Die Militärs passten wirklich nur auf, dass nichts Unvorhergesehenes geschah.

Kurios, dass am Abend auf der zentralen Plaza eine große Siegesfeier stattfand, obwohl die Feiernden eigentlich das Referendum verloren hatten: 60% für, 40% gegen die Verfassung. Sie feierten das umgekehrte Ergebnis im Departement (wie in den anderen östlichen Departements) als ihren Sieg, für die Autonomie, wie sie sie verstehen. Jetzt müssen (und wollen es anscheindend auch) alle sehen, wie es mit den verschiedenen Visionen im Land weitergehen soll. Morales wird um die Autonomie im Osten nicht drum herum kommen.

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